Herr Studer, Herr Sigerist, Sie sind schon seit einigen Jahren als Autoren beim Orell Füssli Verlag tätig. Wie sind Sie damals zur Autorentätigkeit gekommen?
JS: Durch Thomas Hirt von der AKAD, der Redaktor im AKAD-Verlag war. AKAD pflegte eine Zusammenarbeit mit dem Orell Füssli Verlag. Und so kam ein Kontakt mit dem damals Verantwortlichen für die Repetitorien zustande (Anm. der Redaktion: AKAD = Akademikergemeinschaft für Erwachsenenbildung).
MS: Mich führte mein Co-Autor Josef Studer zur Autorentätigkeit, welchen ich vor Jahren bzw. Jahrzehnten aus der gemeinsamen Tätigkeit als Gerichtsschreiber am selben erstinstanzlichen Zivilgericht im Kanton Luzern kennengelernt hatte. Josef Studer bin ich noch heute dankbar dafür!
Sie sind beide Co-Autoren des Repetitoriums und des Übungsbuchs Arbeitsrecht, welche in diesem Jahr in Neuauflage erschienen sind. Was hat sich in diesem Rechtsgebiet in den letzten Jahren geändert (auf Gesetzes- wie auch auf Rechtsprechungsebene)?
Geschaffen wurden v.a. Möglichkeiten zum Bezug von Urlaub bei Familienereignissen wie Mutterschaft, Vaterschaft und bei kranken Familienangehörigen sowie auch deren Finanzierung (v.a. Mutterschaftsversicherung).
Welche arbeitsrechtlichen Themen werden in der Politik bzw. in der Gesellschaft zurzeit diskutiert? Bzw. sind in naher Zukunft weitere Revisionen geplant?
JS: Die heute gewünschte bzw. notwendige Flexibilisierung der Arbeit bzw. Arbeitszeit steht oft im Widerspruch zu den eher starren Regelungen des Arbeitsgesetzes. Dieses wurde ursprünglich für eine Gesellschaft gemacht, in der viele Arbeitnehmende einen «null acht fünfzehn-Job» hatten. Heute kennen wir den elektronischen Zugang zu Daten des Arbeitgebers rund um die Uhr und rund um die Welt. Das passt nicht mehr. Trotzdem müssen die Arbeitnehmenden vor Ausbeutung geschützt werden. Das wird nicht einfach.
MS: Die politischen Anliegen trachten zumeist nach einer stetigen Ausweitung des Arbeitnehmerschutzes. Diese Bestrebungen dürfen nicht übertrieben werden und dürfen nicht zu einer Unausgewogenheit des Arbeitsrechts führen. Erfahrungen mit Rechtssystemen gewisser Nachbarländer der Schweiz zeigen nämlich, dass ein zu restriktiver Arbeitnehmerschutz den Arbeitnehmenden eher schadet als nützt, indem die Tendenz zu Schwarzarbeit zunimmt.
Gibt es in Ihren Augen noch weiteren, dringenden politischen Änderungsbedarf im Bereich Arbeitsrecht?
JS: Die Vereinbarkeit von Kleinpensen (Teilzeit-Anstellungen) mit der wirtschaftlichen Realität (Stichwort «working poor») sollte m.E. mit Vorrang behandelt werden. Dazu gehört u.a. die Zugänglichkeit zur 2. Säule (Pensionskasse).
MS: Aus der Sicht eines Praktikers gilt allerdings etwas desillusioniert anzufügen, dass die Umsetzung jedes noch so gut gemeinten und noch so berechtigten politischen Anliegens eine stumpfe Waffe bleibt, wenn die gerichtliche Umsetzung aufgrund der Überlastung der Gerichtsinstanzen nicht innert vernünftiger Frist ermöglicht werden kann. Politisch gilt es daher nicht die inhaltlichen Regelungen, sondern insbesondere auch die formalen Rahmenbedingungen und den Ausbau der entsprechenden Institutionen im Auge zu behalten.
Repetitorien und Übungsbücher sind in erster Linie für Jus-Studierende zur Prüfungsvorbereitung gedacht. Auch Sie haben beide an der Universität Zürich studiert und haben inzwischen einen grossen beruflichen Erfahrungsschatz im Bereich Recht. Welchen guten Ratschlag können Sie zukünftigen Juristinnen und Juristen mit auf den Weg geben?
JS: Wichtig ist es, möglichst schnell einen Fuss in der Praxis zu haben, z.B. durch Mitarbeit in einer Kanzlei, bei einem Treuhänder, bei einer Gewerkschaft oder einem Arbeitgeberverband usw. Das habe ich damals vermisst (ist aber schon eine Weile her).
MS: Grundlage für jeden (beruflichen) Erfolg sind Begeisterung, Leidenschaft und Einsatz. Getragen von diesen Attributen gilt es, die theoretischen Grundlagen zu erarbeiten, das theoretische Wissen stetig zu vertiefen und möglichst bald in der Praxis anzuwenden. Zudem sollte eine fachliche Spezialisierung angestrebt werden, da aufgrund der überwältigenden Flut an Legislatur und Judikatur nur noch der/die Spezialist/in eine seriöse juristische Dienstleistung erbringen kann.
Lieber Herr Sigerist, lieber Herr Studer wir bedanken uns bei Ihnen für das Gespräch.
Michael Sigerist (MS), lic. iur., LL.M., Rechtsanwalt und Notar, Fachanwalt SAV Erbrecht, absolvierte sein juristisches Studium an der Universität Zürich, erwarb das Anwalts- und das Notariatspatent des Kantons Luzern, schloss ein Nachdiplomstudium im Bereich des Internationalen Wirtschaftsrechts ab und erwarb den vom Schweizerischen Anwaltsverband verliehenen Titel Fachanwalt SAV Erbrecht. Er ist Mitautor der Repetitorien Sachen- und Arbeitsrecht sowie der dazugehörigen Übungsbücher und ist seit 1997 selbstständiger Rechtsanwalt und Notar mit eigener Kanzlei in Luzern.
Josef Studer (JS), lic. iur., Ausbilder mit eidg. Fachausweis (SVEB II), studierte in Zürich. Er ist als Autor für juristische Lehrmittel, als Prüfungsexperte und als Dozent in der Erwachsenenbildung tätig. Unter seiner Mitwirkung entstanden die im Orell Füssli Verlag erschienenen Repetitorien Arbeitsrecht, Sachenrecht und Strafprozessrecht, die Übungsbücher Arbeitsrecht, Sachenrecht und Schuldbetreibungs- und Konkursrecht sowie das Buch «Schuldbetreibungs- und Konkursrecht – Ein Leitfaden für die Praxis».