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Das neue Erbrecht aus der Sicht eines Richters

Interview mit lic. iur. Thomas Vesely, Richter im Kanton Zürich und Autor des Repetitoriums und Übungsbuchs Erbrecht. 

In Neuauflage sind das Repetitorium sowie das Übungsbuch Erbrecht von Thomas Vesely, Richter am Bezirksgericht Zürich erschienen. Dies haben wir zum Anlass genommen, mit dem Autor ein Interview zum Thema zu führen. Er geht dabei u.a. auf die neuen Änderungen im Erbrecht ein und gibt Erläuterungen zu dieser am 1. Januar 2023 in Kraft getretenen Revision. Vor dem Hintergrund seiner eigenen beruflichen Laufbahn gibt er darüber hinaus der Leserin und dem Leser eine Entscheidungshilfe zum Richterberuf an die Hand. Erfahren Sie mehr über das neue Erbrecht und den Beruf des Richters und lesen Sie jetzt das spannende Interview mit Thomas Vesely.

Herr Vesely, Sie sind Autor des Repetitoriums und des Übungsbuchs Erbrecht, welche vor kurzem in Neuauflage erschienen sind. Das Erbrecht hat am 1. Januar 2023 eine grössere Revision erfahren. Welches sind die wichtigsten Änderungen?

Die wichtigste Änderung betrifft die Pflichtteile. Einerseits wurden diese mit der Revision auf 50% des Nachlasses reduziert, womit eine Erblasserin oder ein Erblasser neu über mehr Vermögen frei verfügen kann. Andererseits entfällt der Pflichtteil der Eltern. Und letztlich erlischt der Pflichtteilsanspruch neu schon während eines laufenden Scheidungsverfahrens bzw. während des Verfahrens der Auflösung der eingetragenen Partnerschaften, wenn das Paar während mind. 2 Jahren getrennt gelebt hat.

Wie schätzen Sie persönlich diese Revision ein? Hätten Sie weitere Artikel bzw. weitere Themen des Erbrechts einer Revision unterzogen? Welche?

Die tieferen Pflichtteilsquoten geben der Erblasserin oder dem Erblasser mehr Flexibilität, was ich begrüsse. So können persönliche Wünsche besser umgesetzt werden. Gleichzeitig ist aber zu berücksichtigen, dass die Revision auch auf Testamente anwendbar ist, die unter dem früheren Recht verfasst wurden. Wer Nachkommen vor 2023 auf den Pflichtteil setzte, ging also möglicherweise von anderen Erbanteilen als heute aus. Eine Erblasserin oder ein Erblasser sollte sich nach der Revision noch einmal überlegen, ob er oder sie auch mit der neuen Regelung noch einverstanden ist, wenn die Nachkommen auf den Pflichtteil gesetzt werden.

Das Erlöschen des Pflichtteilsrechts während des Scheidungsverfahrens ist sicher ein guter Ansatz der Revision. Allerdings habe ich es als Richter sehr selten erlebt, dass eine Partei während des Scheidungsverfahrens verstarb. Und zu keinem Zeitpunkt hatte ich den Eindruck, dass eine Partei das Scheidungsverfahren verzögert, weil sie sich eine Erbschaft der Gegenpartei erhofft. Insofern wird diese Gesetzesänderung in der Praxis wohl sehr selten relevant werden.

Als weiteres Thema einer möglichen Erbrechtsrevision sehe ich Konkubinatspaare. Diese werden in der aktuellen Revision nach wie vor nicht berücksichtigt. Diese Nichtberücksichtigung kann zu stossenden Ergebnissen führen, weil die Beziehung gleichwohl sehr eng sein und in der Folge auch ein Bedürfnis nach Absicherung bestehen kann. Diesbezüglich könnte man sich in Zukunft durchaus Anpassungen vorstellen. Das Problem ist allerdings nicht akut und ein erster Schritt wurde indirekt mit der Verringerung der Pflichtteilsquote gemacht. Dadurch steht der Erblasserin oder dem Erblasser, wie erwähnt, mehr Spielraum zur Verfügung, den er oder sie auch zugunsten einer Lebenspartnerin oder eines Lebenspartners verwenden kann.

Eine Person will ihre Finanzen auf ihren Tod hin regeln. Welche Vorgehensweise raten Sie ihr?

Je nach Situation lohnt es sich schnell, auf Erbrecht spezialisierte Anwälte beizuziehen. Diese können die konkreten Bedürfnisse abklären und massgeschneiderte Lösungen anbieten. Ich empfehle daher eine professionelle Beratung.

Will man ein Testament selbst verfassen, sollte man aber in jedem Fall die Formalitäten beachten, auf welche das Schweizerische Erbrecht hohen Wert legt. Es ist wichtig, dass es von Anfang bis zum Ende handschriftlich verfasst ist, eine Unterschrift trägt sowie das Datum mit Tag, Monat und Jahr genannt wird. Keine Formvorschrift, aber empfehlenswert ist auch, die Seiten durchzunummerieren, damit die Vollständigkeit sofort erkennbar ist und fehlende Seiten entdeckt würden.

Sie sind als Richter am Bezirksgericht Zürich und als nebenamtlicher Ersatzoberrichter tätig. Welches sind die Anforderungen, um Richter zu werden?

Die fachlichen Anforderungen an die Tätigkeit als Richter sind kantonal unterschiedlich geregelt. Im Kanton Zürich wird ein juristisches Studium vorausgesetzt. Damit ist sichergestellt, dass alle Richterinnen und Richter das Gesetz und die Rechtsprechung kennen. Weil sich diese aber stetig weiterentwickeln, muss man bereit sein, sich weiterzubilden.

In der Praxis besonders wichtig ist die Kommunikationsfähigkeit. Man muss gut zuhören können und auf die Parteien eingehen. Empathie und Menschenkenntnis sind daher sehr hilfreich, gerade wenn man einer Partei erklären muss, aus welchen Gründen das Gericht einen für sie ungünstigen Entscheid gefällt hat. Hier ist es wichtig, adressatengerecht zu kommunizieren und sich klar auszudrücken. Versteht eine Partei einen Entscheid nicht, wird sie ihn kaum akzeptieren können. Entsprechend wichtig ist es auch, mit gesundem Menschenverstand zu urteilen, um stossende Urteile zu vermeiden.

Und letztlich muss eine Richterin oder ein Richter unabhängig und neutral sein, was in der Praxis nach meiner Erfahrung von allen Richterinnen und Richtern streng beachtet wird.

Repetitorien und Übungsbücher sind in erster Linie für Jus-Studierende zur Prüfungsvorbereitung gedacht. Welchen guten Ratschlag können Sie zukünftigen Juristinnen und Juristen mit auf den Weg geben? Was sagen Sie einem/r Jus-Studierenden, der/die gerne in Zukunft den Richterberuf ausüben möchte?

Das Jus-Studium ist sehr breit ausgerichtet. Es bietet einen guten Ausgangspunkt, um die individuellen Interessen und Stärken in der Rechtswissenschaft zu testen und zu vertiefen. Für die einen mag Erbrecht besonders spannend sein, für die anderen das Wirtschaftsrecht oder das Strafrecht. Ich empfehle jeder und jedem, sich frühzeitig zu spezialisieren und die eigenen Interessen in einem entsprechenden Bereich weiter zu erforschen. Dafür bieten sich Studentenjobs und Praktika an, die bei Gerichten, Anwaltskanzleien, Unternehmen und Behörden absolviert werden können. Bei den Zürcher Zivil- und Strafgerichten kann man während des Studiums unter gewissen Voraussetzungen ein “Schnupperauditorat” oder ein “Volontariat” absolvieren und so einen ersten Einblick in die erstinstanzliche Rechtsprechung erlangen. Wenn man die erlebte Praxis mag, kann man sich so gezielt weiterentwickeln. Im besten Fall wird damit der zukünftige Beruf zum Hobby und mit Leidenschaft verfolgt. Zudem hilft die erworbene Erfahrung bei späteren Bewerbungen.
Den Beruf als Richterin oder Richter kann ich besonders empfehlen, weil er sehr vielfältig und spannend ist. Am Bezirksgericht wird ein breites Spektrum abgedeckt. Gleichzeitig erfolgt eine gewisse Spezialisierung. Hinzu kommt, dass die richterliche Unabhängigkeit in der Schweiz nach meiner Erfahrung, wie erwähnt, sehr stark gelebt wird. Die Freiheit, nach bestem Gewissen und Gewissen entscheiden zu können, ohne dabei anderen Interessen nachkommen zu müssen, führt zu gerechten und guten Urteilen. Die Unabhängigkeit und die Selbstständigkeit sind sehr wertvoll.

Wer sich für eine Laufbahn als Richterin oder Richter interessiert, muss auf die jeweiligen kantonalen Regelungen achten. Im Kanton Zürich beginnt die erste Stufe nach dem Studium in der Regel beim Auditorat, einem rund 1-jährigen Praktikum am Gericht. Bewährt man sich in dieser Zeit, kann man zur Gerichtsschreiberin oder zum Gerichtsschreiber befördert werden, wo man an Urteilen mitwirkt und oftmals die rechte Hand der Richterin oder des Richters ist. Die nächste Stufe ist für gewöhnlich die Arbeit als Gerichtsschreiberin oder Gerichtsschreiber am Obergericht, wo in der Regel eine gewisse Spezialisierung stattfindet und man Urteile des gesamten Kantons beurteilt und sich näher mit der obergerichtlichen Rechtsprechung vertraut macht. Dort beginnt man als sog. Ersatzrichterin oder Ersatzrichter, an Bezirksgerichten zunächst einzelne Fälle vertretungsweise zu betreuen, später kann man auch für längere Zeit an einem Gericht eingesetzt werden. Und schliesslich erfolgt die Wahl zur Bezirksrichterin oder zum Bezirksrichter, wobei man oftmals die Unterstützung einer politischen Partei erhalten muss. Diese unterstützen in der Regel Kandidatinnen und Kandidaten, welche bereits eine gewisse Richtererfahrung aufweisen.

Lieber Herr Vesely, wir bedanken uns für das Gespräch.

Thomas Vesely, lic. iur., Richter am Bezirksgericht Zürich. Daneben ist er als nebenamtlicher Ersatzoberrichter am Obergericht und am Handelsgericht des Kantons Zürich tätig.

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